2012.08.09 Żelechower- Aleksiun „Das Licht des Midrasch“
Mira Żelechower-Aleksiun
Ein sehr wichtiger Moment im Leben der Künstlerin war ihre Abreise nach Israel im Jahr 1987
Bei einem Besuch im Heiligen Land überkam Mira das Gefühl, als hätte sie das Buch betreten. Die Psalmen wurden für sie geradezu zur Wirklichkeit. Sie hatte die Gelegenheit, in Sinai einen Ort zu besuchen, von dem angenommen wird, dass Moses dort die gesamte Torah erhielt. Dort ereignete es sich, dass sie die „Nähe des Zentrums, die Gegenwart spürte“. Diese Begegnung wurde für Mira einer Quelle erneuerter Kraft, woraufhin sie sich auf ihre jüdische Identität rückbesann.
Während der Zeit des Kriegsrechts in Polen engagierte sie sich aktiv in der unabhängigen kulturellen Bewegung. Mira führt ihren leidenschaftlichen Aktivismus in Bereichen außerhalb der Malerei fort, vor allem im Bereich der Aussöhnung von Christen und Juden.
„Kalender der Erinnerung“
nach Bruno Schulz
Meine Bilderkollektion „Ein Kalender der Erinnerungen, nach Bruno Schultz“, zollt dem Künstler und der Generation ermordeter Juden während des Holocausts Tribut; so also auch meinem Vater, Szlomo Jaklewicz.
Im Jahr 2007, arbeitete ich mit dem „Double Edge Theater“ in Ahsfield, nahe Boston, für das Projekt „Republik der Träume.“ Diese Aufführung war von Bruno Schulzes Schriften inspiriert, die dann wiederum mich zu der Arbeit an der Bildersammlung inspirierte.
In der Zwischenzeit stieß ich zufällig auf ein Essay von Jörg Schulte: „Wielka kronika Kalendarza (Die große Kalenderchronik)“. Schulte meint, dass die 13 Kurzgeschichten, welche die drei Teile der ‚Abhandlung über Mannequins‘ bilden, ein verschlüsselter jüdischer Kalender sind.
Wir haben es nicht mit einer direkten Interpretationen von Schultzes Geschichten zu tun, aber ich bin den Anhaltspunkten gefolgt und habe aufeinanderfolgende Kalenderseiten entworfen, auf der Suche nach Hinweisen auf die versteckten Monate. Ich habe Textfragmente in meine Bilder eingebaut. Ich war aufs Neue überrascht, wie stark Schultzes Visionen die Dunkelheit der Tage des Holocaust in seinen Bildern und Zeichnungen vorwegnehmen. Ich verwob sie mit Motiven, die in Relation zum Lesen der Torah bei entsprechenden Anlässen stehen.
Natürlich basiert der hebräische Kalender auf dem Mondzyklus und hat 13 Monate in Schaltjahren. Eigentlich gibt es in der jüdischen Tradition 4 verschiedene Zeitpunkte, die als Neujahr bezeichnet werden können. Ich habe meine Seiten so arrangiert, wie es der allgemein anerkannten Art und Weise der Ordnung entspricht, nämlich dass Neujahr mit Rosh Hashanah – Haupt des Jahres - beginnt. Rosh Hashanah ist normalerweise um Mitte September. Die Theorie eines „versteckten Kalenders“ kann vielleicht in Frage gestellt werden, jedoch wurde sie für mich zu einer erregenden Inspiration um Bilder zu malen - Kalenderseiten, die auf Bruno Schultzes Bildern und Schriften basieren.
Das Malen der Bilder war für mich eine Art Reinigung, in der ich Sorge und Schmerz in Mitgefühl verwandelt habe.
Bruno Schulz
Bruno Schulz (12. Juli 1892 – 19. November 1942), geboren als Sohn jüdischer Eltern, war ein polnischer Schriftsteller, Künstler, Literaturkritiker und Kunstlehrer, der als einer der großen polnischsprachigen Prosaautoren des 20. Jahrhunderts gilt. Schulz wurde in Drohobycz, in der Provinz Galizien, später Teil Österreich-Ungarns, geboren, wo er einen Großteil seines Lebens verbrachte. Er wurde von einem deutschen Nazi-Offizier getötet. Seine veröffentlichten Werke beinhalten Die Zimtläden von 1934. Im englischsprachigen Raum trägt es meistens die Bezeichnung Die Straße der Krokodile (The Street of Crocodiles), in Anlehnung an ein gleichnamiges Kapitel. Die Zimtläden wurde drei Jahre später von dem Sanatorium der Sanduhr gefolgt. Die Originalpublikationen wurden von Schulz illustriert; in späteren Editionen seiner Werke wurden diese Illustrationen jedoch häufig ausgelassen oder schlecht abgebildet. 1936 half er seiner Verlobten, Józefina Szelińska, mit der Übersetzung von Franz Kafkas Der Prozess ins Polnische. 1938 wurde er mit dem renommierten Goldenen Lorbeer der Polnischen Akademie für Literatur ausgezeichnet.
1. Tishri
Dieser Monat markiert eine Reihe von wichtigen Ereignissen im jüdischen Kalender.
Erster und zweiter Tag des Monats Tishri sind Rosh Hashanah- Neujahr. Der Monat beginnt um Mitte September. Nach Neujahr folgen zehn Tage Buße und der Tag der Versöhnung – Yom Kippur. Auf jene Tage folgt Sukkot und am achten Tag des Sukkot Hoshana Raba und Shmini Aseret. Das Sternzeichen dieses Monats ist die Waage. Laut jüdischer Tradition wird während dieses Monats eine Person gerichtet, deshalb das Symbol einer Waage, auf der unsere Taten gemessen werden.
Auf meinem Bild hält eine Hand eine Anzahl von glänzenden Kugeln und eine halb verborgene Waage. Die Kugeln sind als sefirot bekannt- die zehn Stufen von Realitätsaspekten Gottes. Die Szenen am Fuß des Berges, die vorbeiziehenden Frauen sind ein Auszug aus einer aus den 1920er Jahren stammenden Zeichung von Bruno Schultz, welche „Undula in the night“ heißt. Diesen Text kann man in der zweiten Geschichte der „Zimtschätze“ finden. Diese Geschichten sind nicht in Relation zu Ereignissen zu sehen, sie haben flexible Grenzen. Man kann jedoch Hinweise erkennen, die das Klima für den Monat des Tishri bilden, z.B. wird der Monat auch der „Monat der großen Jahreszeit“ genannt und der Vater ist eine Figur, die in Beziehung zu Moses stehen könnte, der die Juden für die sündhafte Anbetung des goldenen Kalbes zurechtweist
2. Cheshwan – Marcheshwan
Der volle Name dieses Monats ist Marcheshvan. Der erste Teil des Namens, „mar“, bedeutet „bitter“. Die „Bitterkeit“ dieses Monats lässt sich von dem Fakt ableiten, dass es keine Feiertage während Marcheshvan gibt. Der Skorpion ist das Sternzeichen des Monats. Es wird aus dem Buch Genesis, Bereschit gelesen. Aufgrund dessen kann man auf den Stufen im Bild Motive sehen, die sich auf diesen Teil der Torah beziehen: Eine Andeutung der Flut und Noah, der Auszug Abrahams aus Ur – Lech Lecha, dann -Vajera mit Abraham, wie er die drei Engel aufnimmt...
Das generelle Konzept der Kombination von Bildern unter Anwendung von Stufen erlaubt es mir, gleichzeitig die abschnittsweise Lesung der Teile der Torah in jedem Monat zu zeigen. Der Mann im Fenster mit dem Hund ist ein Hinweis auf Bruno Schultz. Die Geschichte der Vision bezieht sich auf die Herbstmonate in der Geschichte Bruno Schultzes über Cheshvan, welches im Oktober und November stattfindet. Die Wörter dieser Geschichte sind in das Bild hineingeschrieben.
3. Kislew
Kislev ist der dritte Monat des neuen Jahres im Mondzyklus. Normalerweise fällt dieser Monat auf November oder den frühen Dezember. Das Sternzeichen dieses Monats ist der Schütze. Ich habe eine Frau als Schützin gewählt. Sie ist siegreich und frei von allen Komplexen. Sie ist das Gegenteil des von Schultz in seiner Zeichnung „Prozession“ dargestellten Charakters. Um die Zeichnung einer nackten Frau gibt es in meinem Bild eine brennende Stadt in die die Engel aus Jacobs Traum hinuntersteigen. Es ist der Traum in welchem Jacob das Versprechen Gottes empfängt, dass der Grund auf dem er liegt der seine und der seiner Nachfahren werden wird. Gott verspricht Jakob auch, dass seine Nachkommen so zahlreich wie Staub sein werden... Gott sagt Jacob „ Ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst.“ (Gen, 28,15).
Im Kontext des Holocaust ist dieses Angebot paradox, jedoch ist dies auch die Basis der Hoffnung. Der Text, welcher in das Bild mit eingeschrieben wurde ist ein Zitat von „Die Vögel“ in welchem Schultz über den Herbst spricht, über tiefe Kälte und gelbe Nacht. Unter der Leiter aus Jakobs Traum ist eine Illustration des nächsten Kapitels aus dem Buch Genesis zu sehen. Wir lesen von Jakobs Kampf mit dem Engel bis zur weißen Dämmerung. Nach dem Kampf erhält Jakob den Namen Israel.
4. Tewet
Üblicherweise beginnt Tevet in der zweiten Hälfte des Dezembers. Der Steinbock ist Sternzeichen des Monats. Am Ende der Treppe kann man die acht Hanukkah Lichter sehen. Dieser Feiertag findet meistens in den frühen Tagen des Tevet statt. Am letzten Tag des Hanukkah-Festes rezitiert man das Gebet für die Toten. Im Bild ist ein Fragment, welches Kinder im Zug darstellt, die in ein Vernichtungslager deportiert werden. Der zehnte Tag dieses Monats ist auch der Jahrestag der Belagerung von Jerusalem durch die Babylonier und der Zerstörung des ersten Tempels. Ich baue hier keine Beziehung zu Kapiteln der Torah auf, obwohl die Lesungen die faszinierende Geschichte von Joseph erzählen. In diesem Monat wird auch zum ersten Mal mit den Lesungen aus dem nächsten Buch, dem Exodus-Shemot begonnen, in welchem Moses sich vor dem brennenden Busch befindet... Am unteren Rand des Bildes habe ich Musiker bzw. Schauspieler vom „Double Edge Theater“ platziert, mit denen ich an den Texten von Bruno Schultz gearbeitet habe... Sie haben mich glauben lassen, dass Kunst eine reinigende Kraft hat und Güte schafft. Neben diesen Teil des Bildes habe ich ein Karussell gezeichnet. Es könnte das Karussell sein, das hinter den Mauern des Warschauer Ghettos stand. Man kann eine Beziehung zwischen diesem Monat und den „Zimtschätzen“ herstellen.