23.07–31.08.2016 KUNSTAUSSTELLUNG DER WERKE VON PAWEL WARCHOL AUS DER REIHE GEBEINE UND DIE KLAGE DES HIOB

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(…) Was kann den Kampf mit künstlerischer Stärke besser ausdrücken, oder das Zusammentreffen von Licht und Dunkelheit, Leben und Tod, Gnade und Sünde, als eine gekonnte Nebeneinanderstellung von Weiß und Schwarz? Dieser Kampf betrifft nicht nur Jesu unter dem Kreuz auf dem Leidensweg zum Hügel von Golgatha, aber auch den inneren Zustand des Menschen und den Ort, an dem sich die komplette Geschichte der Menschheit wiederfand. (…)

 

Kunstausstellung  der Werke von Paweł Warchoł
Aus der Reihe Gebeine  und  die Klage des Hiob

23 Juli bis 31 August 2016

 

Gebeine

Eine Collage aus der Sammlung des staatlichen Museums Auschwitz-Birkenaus in Oświęcim

Die Klage des Hiob

Sammlung von Barbara und Leszek Ledwońs, Rajsko

 

 

,,Si dipingo con cervello, non con lemani (Man malt mit dem Gehirn, nicht mit den Händen)", pflegte Michelangelo zu sagen. Selbst dann, oder vielleicht gerade dann, wenn von den letzten Dingen die Rede ist. Schrecklichen und das menschliche Begriffsvermögen übersteigenden Dingen. Die größer sind als Alles, die allein die Kunst mit den nur eigenen Mitteln auszudrücken vermag. Nur sie kann sich aufschwingen auf die Höhen der Terribilità  des Michelangelo und die Vorstellung der Menschen erschüttern, sie dazu zwingen, die Stimme zu senken, sich in frommer Einkehr zu konzentrieren und ihre unvollkommenen Empfindungen mit der Vision des Künstlers zu konfrontieren. Nur sie ist imstande, das Unfassbare zu erfassen. Zu bewirken, dass wir beginnen, das Unbegreifliche zu begreifen, das Absolute zu berühren. Gut und Böse gemeinsam, den Himmel und die Hölle Auschwitz, die Vernichtungslager, Ort des Triumphs des Ahriman über Ormus, des Seth über Osiris. Das Konzentrationslager Auschwitz überfordert uns. Es erdrückt durch seine vorbildlose Auftürmung des Schreckens sogar die Fähigkeit der Opfer, das von ihnen Erlebte zu formulieren. Deshalb sprechen sie darüber fast nie in Gegenwart Unbeteiligter, wohl wissend, dass ihre Worte - und unsere Aufnahmefähigkeit - zu schwach sind, zu unangemessen, um das in Auschwitz wuchernde Böse in seiner geradezu sterilen Form zu begreifen. Selbst sie ...

Was ist also der Versuch, Auschwitz darzustellen, unternommen von einem Künstler, der die Kolonnen der in die Vernichtung ziehenden Häftlinge nicht selbst gesehen, den trockenen Knall der Schüsse nicht selbst gehört und den Gestank der verbrannten Leiber nicht selbst gerochen hat. Kann er sich überhaupt an diese Aufgabe wagen? Ist sein Vorhaben nicht von vorneherein zum Scheitern verurteilt? Mehr noch, ist es nicht gar Ausdruck eines gewissen Größenwahns? Natürlich nicht. Künstler aller Epochen haben in die Vergangenheit zurückgegriffen und sind in ihrer Imagination in Regionen vorgestoßen, die der menschlichen Vernunft und der eigenen Erfahrung unzugänglich sind, denn sie wussten, dass die Aufgabe und Sendung der Kunst eben darin besteht, sogar das Unsichtbare sichtbar zu machen, abstrakten Begriffen eine konkrete Form zu verleihen. Dass die Kunst, echte Kunst, als Moralität und Gewissen der Welt in höheren Regionen funktioniert als den trivialen Realien und sogar der empirischen Erfahrung, dass ihre Domäne die Vorstellungskraft ist und das nur sie echter und überzeugender sein kann als diese. Über eben jenes Attribut der Kunst schrieb Witold Gombrowicz in seinen Tagebüchern, sie sei die  Erhebung der eigenen singulären Privatheit von der Alldimension in die kosmische Dimension.

Paweł Warchoł lebt in Oświęcim, direkt neben dem ehemaligen Vernichtungslager, aber geboren wurde er in Krakau und die erste Unterweisung in den schönen Künsten erfuhr er in dem malerischen Ort Nowy Wiśnicz, nur einen Steinwurf entfernt von den Schlössern der Kmitas und Lubomirskis. Nach Oświęcim ist er als Erwachsener gekommen, wenn auch noch nicht völlig zum Künstler gereift. Der Genius loci dieses Ortes erschütterte ihn zutiefst und hinterließ in seiner frisch gebildeten künstlerischen Empfindlichkeit ein untilgbares Brandmal, das in seiner Gewalt  an die edelste Form der Obsession grenzt.

Der Künstler hat einen großen Teil seiner Kunst, seiner Intelligenz und seiner Intuition dem Vernichtungslager gewidmet. Genauer gesagt: der Vernichtung als solcher, dem menschlichen Schicksal in seiner ganzen singulären Misere und Erniedrigung, dem das unvorstellbare Ausmaß des Schreckens eine monumentale und pathetische Dimension verleiht. Er begann nach einer Synthese des Massenmords zu suchen oder eher nach einem Teil, der für das unausdrückliche Ganze stehen kann, einem Zeichen, einem Symbol, einer Inspiration, die in unserem Gemüt eine Kettenreaktion der Bilder und Vorstellungen auszulösen vermag. Einem Symbol, das blitzartig die Düsternis unseres Bewusstseins erhellt und uns die Erkenntnis der Erscheinungen in einem neuen, unerwarteten Licht ermöglicht, das in diesem Falle gespenstisch ist wie alles, was mit dieser verfluchten Erde verbunden ist. Der Künstler spürte und wusste, dass die Beschreibung selbst der furchtbarsten Dinge die Feststellung einer Tatsache bleibt, eine Nachricht, deren Anhäufung ein ermüdendes „Informationsrauschen" bewirkt, eine Teilnahmslosigkeit, der sich einzig und allein gedankliche Disziplin sowie die ihr gehorsame formale Disziplin zu erwehren vermögen. Also beschränkte er seine Sprache auf die Zeichnung und die asketische schwarzweiße Tönung, eingedenk, dass - wie Nietzsche behauptet - die Wahrnehmung der Welt in Symbolen Vorbedingung jeglicher großen Kunst ist. Schwarz und Weiß spielen dabei in unserer Kultur eine besondere zeichenhafte Rolle. Ihnen also und ihrer Konfiguration, ihrer symbolischen Bedeutung schenkt er seine Gedanken und Empfindungen. Sicherlich aber auch aus eigener Neigung, denn nach Temperament und Leidenschaft ist zuvörderst Zeichner - und zwar einer von hohem Rang, was seine zahlreichen Erfolge im In- und Ausland bestätigen, zu denen sich - dessen kann man sich sicher sein - noch weiter gesellen werden. Die Schwärze ist die Personifizierung des Bösen, des Hasses, des Schauderhaften, der Tragödie, der Katastrophe, der Zerstörung und der Verzweiflung. Ihr Gegensatz, das Weiße, drückt das Leben, die Erlösung und die Wahrheit aus. Die Kombination von Weiß und Schwarz wiederum setzt mit ungeheurer Stärke intensives und reines Licht frei, bar jeder gegenständlichen Assoziationen, gewissermaßen seine Quintessenz. Das Licht ist Ausdruck Gottes, ist Gott selbst, denn:

„Der Herr ist mein Licht und ich bin das Licht der Welt." (Johannes-Evangelium B, 12). Ist es also nicht so, dass Auschwitz dazu provoziert oder nachgerade dazu zwingt, über Gott zu sprechen - durch Lichthaftigkeit und Lichtlosigkeit?

Zu sprechen mithilfe von etwas, was zur Domäne des Geistes gehört - also der Zeichnung - sowie mithilfe von etwas, was auf gewissermaßen biologische Art auf unser Bewusstsein und unser Unterbewusstsein zugleich einwirkt, auf unsere ganze emotionelle Sphäre - nämlich der Kontrast zwischen Licht und Schatten. Die Sprache der Kunst von Paweł Warchoł entspricht also adäquat ihrem Inhalt. Diese Konstatierung - und mag sie auch noch so schlicht und lapidar sein - lässt sich auf nur ganz wenige Künstler anwenden. Auf jene besten, die Meister ihres Faches sind, denn den Meister erkennt man in  der Beschränkung.

Warchoł arbeitet in Zyklen. Ähnlich wie viele andere Zeichner lang vergangener Zeiten, wie Jacques Callot in  seinen Kriegsgräueln, wie Goya, der sein Talent der Beschreibung des Schreckens verschrieben hat, wie der Pole Leon Wyczółkowski in der symbolistischen Serie Rogaliner Eichen oder Mieczysław Wejman in seinem Zyklus Radfahrer. Alle diese Werke sind auffälligerweise dem Menschen und seinen Geschicken gewidmet, deren Heterogenität, Komplexität und Reichtum des Fühlens sich nicht in einem einzigen Bild erfassen lassen. ,,Und ich bezwinge dich doch!", soll Wyczółkowski einer seiner Eichen zugeflüstert haben, als er, von einem Herzschlag gerührt, ihr zu Füßen lag. Er sollte seine Arbeit nicht beenden, nicht den Sieg davontragen, denn er vermochte es nicht, eine ideale Personifizierung des menschlichen Ungemachs zu schaffen - und gerade darin besteht doch die Größe der Kunst. Jeder Schritt auf ihrem Weg eröffnet neue Perspektiven, zwingt zur Stellung neuer Fragen, auf die neue Antworten zu finden sind, denn es ist doch in Wahrheit so, dass die Kunst die Probleme nicht löst, sondern sie erkennbar macht. Vor vierzehn Jahren schuf Paweł Warchoł seinen Zyklus Auschwitz, in dem er sich an seinen früheren Zyklus Oratio anlehnte, mit dem Thema des Kreuzwegs, begriffen als Ort der Meditation und der geistigen Wanderschaft mehr noch denn als letzte Etappe der Passion Christi. Dieses Werk, das sich heute in einer Berliner Sammlung befindet, ist in Collage- und Zeichentechnik ausgeführt. Zu Fragmenten authentischer Fotografien hat Warchoł hier seinen persönlichen, emotionalen Kommentar gezeichnet. Einen Kommentar in zeitlicher Ausdehnung, denn Warchoł liebt es und versteht sich darauf, ohne Worte zu erzählen, seine Werke mit einer flüssigen Narration zu tränken, was sie zum Gegenstand einer ganz eigentümlichen Kontemplation macht. Das Auge wandert über sie und irrt, um wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren, zu eben jener Dokumentarfotografie, und sich aufs Neue auf seine unendliche Wanderschaft im Bannkreis des menschlichen Schicksals zu begeben. Zeitgleich begann der Künstler mit dem Zyklus Holzmaschine, in dem sich - ähnlich wie in den ein Jahrzehnt später entstandenen, Panzerkreuzern - mit außerordentlicher Kraft ein neuer Zug der Persönlichkeit des Künstlers abzeichnet, nämlich der machtvolle Drang zum Hyperrealismus im bretonschen Sinne, zur Verbindung von Schlaf und Wachen, gestützt auf die empirische Erfahrung des Bewusstseins und ein von jeglichem Zwang befreites Unterbewusstsein in einer Wirklichkeit höheren Ranges. In diesen Zyklen zieht der Künstler - mit Absicht, wie anzunehmen ist, - sämtliche Register seines meisterhaften Könnens, das keine Mühe kennt, gehorsam einzig und allein der Vorstellungskraft des Künstlers und den von ihm gesteckten Zielen.

In den Jahren 1988-1992 entstand Walzen - mächtige Steinringe als künstlerische Transposition ihrer Vorbilder in der Wirklichkeit: der Walzen, die von ausgehungerten Häftlingen gezogen wurden, im Kern ihres Wesens eine Metapher für Schinderei und sinnlose, da uneigennützige, Grausamkeit mit steinernem Antlitz. Die Walzen sind bedrohlich, aber unpersönlich. Dagegen tragen die Bunker (1997-2000) ein menschliches Gesicht. Die zusammengekniffenen Spalten der Augen suchen nach einem Ziel. Sie sind bedrohlich und zugleich in ihrer Bedrohlichkeit unzerstörbar, überzeitlich. Alle bisherigen Zyklen von Paweł Warchoł sind sowohl Kunstkennern bekannt als auch zufälligen Empfängern; sie sind in einer umfangreichen Literatur beschrieben worden. Der erstmals 1995 in Oświęcim gezeigte siebenteilige Zyklus Fragmente ist eine eigentümliche Fortsetzung und Erweiterung des Zyklus Auschwitz. Auch hier verbindet der Künstler Dokumentarfotografie und Zeichnung, ergänzt authentische Fragmente der Geschichte durch eine eigene Vision derselben Orte. Diese Werke enthalten jedoch, wie der Künstler sagt, keinerlei historische oder publizistische Berichte, sondern exploitiert ausschließlich die Form. Sieben Arbeiten. Sieben - wie die Arme der jüdischen Menorah. Auf jedem Bild schimmert, wie flackerndes Kerzenlicht, ein unregelmäßiger weißer Fleck in der oberen rechten Ecke der Zeichnung. Den Zyklus schließt eine Arbeit ab, die in unterschiedlichen Tönen der Düsternis gehalten ist, abgrundtiefer Grabesschwärze oder dumpfer Grauheit wie ein in Finstern verschwindender Lichtblick der Hoffnung. Und nur im oberen rechten Eck öffnet sich ein Weg zur Helligkeit, ein Weg, der zu einem in der Tiefe verborgenen ruhenden Geheimnis zu führen scheint. Denn der Künstler gibt niemals Antwort auf die ihm gestellte Frage und bemüht sich auch gar nicht darum, wohl wissend, dass die Kunst Geheimnis bleiben muss, dass Eindeutigkeit sie vernichtet und trivialisiert.

Das alles ist wahr. Wahr ist aber auch, dass Warchoł, vielleicht unbewusst, schon die Grenze des Vergangenen überschritten hat, die Grenze einer Tragödie, die durch die Einheit von Zeit und Ort definiert ist. Oder sollte sie sich doch aus der Stacheldrahtumspannung des Lagers losgerissen und über die Welt zerstreut haben? Vielleicht ist auch aus diesem Grunde die Kunst von Paweł Warchoł so nah und so berührend.

Jerzy Madeyski Krakow 2001

 

 

P.Warhoł

Gebeine (1)

P.Warhoł

Gebeine (4)

P.Warhoł

Die Klage des Hiob (2)